GANZ SCHÖN SPRUNGHAFT

Anfänger hüpfen über eine Bordsteinkante, Erfahrende wagen spektakuläre Sprünge: Parkour ist eine Sportart, die alle anspricht.
Es geht um Fortbewegung und die Überwindung von Hindernissen physischer und psychischer Natur. In Berlin boomt Parkour wie verrückt
Macht eine gute Figur: Ben Scheffler, Inhaber von ParkourONE, hat sich Parkour vor vielen Jahren selbst beigebracht
Macht eine gute Figur: Ben Scheffler, Inhaber von ParkourONE, hat sich Parkour vor vielen Jahren selbst beigebracht
Sie brauchen kein Equipment – keinen Ball, kein Brett, kein Board. Nicht einmal ein spezielles Sportdress ist nötig. Dominik und Lucas tragen legere Straßenkleidung beim Treffen im Anton-Saefko-Park in Prenzlauer Berg. „Parkour kennt keine Regeln“, sagt Dominik, während er seine Inliner im Rucksack verstaut. Vielleicht seien deshalb so viele begeistert davon.

Parkour zählt zu den coolsten urbanen Sportarten: Junge Adonisse bahnen sich laufend und springend ihren Weg durch den Großstadtdschungel, sie überqueren jedes Hindernis: parkende Autos, Bauzäune, Müllcontainer. Sie nehmen dabei den kürzesten Weg von A nach B. Wo andere Menschen Hürden sehen, sehen die Parkourläufer Herausforderungen. Eine zwei Meter hohe Mauer im Sichtfeld? Kein Problem: Anlauf nehmen, hochspringen, rüberhangeln – und hinten mit einem großen Satz wieder runter.
             
Ganz so ungestüm geht es an diesem schönen, sonnigen Märztag im Park an der Kniprodestraße nicht zu, längst nicht mehr. Dominik Arend, Inhaber der Parkour Akademie, und sein guter Freund Lucas Wilson, Stuntman und Sportmodell, springen auf einem extra für Parkour angelegten Park von Ast zu Ast, später über Bordsteinkanten und Begrenzungspfeiler. Kids, die über Autos und Stromkästen springen, erzählen sie, seien nur noch auf eher raren, älteren Videos zu sehen.
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Sie zeigen die Anfänge von Parkour, damals in den Banlieues von Paris, als Parkour nicht einmal Parkour hieß: In den frühen 1980er Jahren trafen sich knapp zwei Dutzend Jugendlicher verschiedener ethnischer Herkunft, um so zu sein wie ihre Helden aus der japanischen Manga-Serie „Dragon Ball“, einer Gut-gegen-Böse-Story mit viel Kampfsport und Happy End. Sie wollten sich messen, stellten immer absurdere Herausforderungen auf: „Schaffst du 1000 Liegestütze, überwindest du eine Distanz von zwei Metern im Sprung?“ „Kunst der Fortbewegung“ nannten die Jugendlichen ihr sportliches Spiel damals. Ihr Ansporn: höher, schneller, weiter.

Parkour ist die „Kunst der effizienten Fortbewegung“

Ziel ist es, mit den Fähigkeiten des eigenen Körpers möglichst effizient von Punkt A zu Punkt B zu gelangen. Der Parkourläufer (französisch: traceur „der, der eine Linie zieht“) bestimmt seinen eigenen Weg durch den urbanen oder natürlichen Raum.

Entstanden ist Parkour in den 1980er Jahren in Paris, die wichtigsten Protagonisten waren Raymond Belle und sein Sohn David Belle.

Später wurde die Sportart durch Spielfilme, Dokumentationen und Werbespots populär. Auch die japanische Manga-Serie „Dragon Ball“ beeinflusste die ersten Parkourläufer.

Ein wichtiger Film war der James-Bond-Streifen „Casino Royal“ mit Sébastien Foucan. Der französische Extremsportler spielte darin die Rolle des „Mollaka“. In einer mehrminütigen Verfolgungsjagd mit James Bond brachte er die Disziplin Freerunning erstmals einem breiten Publikum nahe.

Freerunning und Parkour sind stark verwandte Disziplinen. Freerunning enthält noch mehr akrobatische Elemente, Parkour setzt hingegen mehr auf Effizienz und Schnelligkeit.
Dominik Arend, Inhaber der Parkour Akademie, mit seinem Freund Lucas Wilson (links) im Anton-Saefko-Park in Prenzlauer Berg
Dominik Arend, Inhaber der Parkour Akademie, mit seinem Freund Lucas Wilson (links) im Anton-Saefko-Park in Prenzlauer Berg
Man braucht dafür nicht nur kein Equipment, sondern auch keine spezielle Sportstätte, keinen Verein und keine Gemeinschaft
Autos, Müllcontainer, Bauzäune brauchen die Traceure genannten Parkourläufer heute nicht mehr, wollen sie nicht. „Eigentum ist heilig“, sagt Ben Scheffler, Inhaber von ParkourONE, dem Berliner Ableger der internationalen Parkourschule mit Hauptsitz in der Schweiz. Scheffler war einer der ersten, der die Sportart in Berlin etabliert hat. Niemand käme auch nur im Traum auf die Idee, eine Schneise quer durch die Stadt zu schlagen, über Hindernisse hinweg, die am Ende ein Fall für die Haftpflichtversicherung wären, sagt der gebürtige Ostberliner. Warum auch? Es gibt tausende Herausforderungen im urbanen Raum, die keine Delle im Auto verursachen. Gezähmt oder gar kuschelig findet er Parkour deshalb nicht. Im Gegenteil: Die gesamte Stadt als Spielfeld zu haben – das ist abgefahren genug. Außerdem: Die Parkourenthusiasten wollen nicht in erster Linie cool sein und schon gar nicht anecken. Sie springen über Hindernisse, um ihren Körper und ihren Geist fit zu halten. „Parkour ist ein ganzheitlicher Sport, er trainiert sanft den gesamten Körper“, sagt Dominik Arend. Die Verletzungsgefahr sei minimal. Mehrmals die Woche trainiert er Menschen jeden Alters in dieser Disziplin. Jeder macht, was er kann. Die einen springen von Mauer zu Mauer, hinter und vor ihnen zwei Meter Abgrund, die anderen überwinden eine höhere Bordsteinkante. Ganz egal, sagt Dominik. „Nach anderthalb Stunden Training haben die Leute ein Lächeln auf den Lippen.“ Sie haben sich ausgepowert, sind verschwitzt und glücklich.
             
Für Stuntman und Sportmodell Lucas Wilson gibt es keine Hindernisse und Hürden – nur Herausforderungen
Für Stuntman und Sportmodell Lucas Wilson gibt es keine Hindernisse und Hürden – nur Herausforderungen
Jedes Hindernis ist ein Sportgerät, jeder Laternenmast, jede Stufe, Mauer oder Rampe
Verschwitzt und glücklich ist man auch nach einer Partie Tischtennis oder nach einem Fußballspiel. Parkour ist aber anders, weil es unmittelbar vor der Haustür beginnen kann: Jedes Hindernis ist ein Sportgerät, jeder Laternenmast, jede Stufe oder Rampe. Ob ein Geländer, eine Ruhebank, eine Treppenstufe, ein Fahrradständer oder ein Gerüst: Auf einem Weg von einem halben Kilometer finden sich in der Stadt mindestens 15 Möglichkeiten. Jeglicher Gang zum nächsten Supermarkt kann, wenn man die Sinne dafür erst einmal geschärft hat, zum sportlichen Parcour werden. Zu Parkour. Man braucht folglich dafür nicht nur kein Equipment, sondern auch keine spezielle Sportstätte. Ebenso keinen Verein, keine Gemeinschaft. Veteranen wie Dominik Arend oder Ben Scheffler haben sich Parkour vor vielen Jahren auch selbst beigebracht. Sie sind einfach raus in die Stadt und haben sich ausprobiert.

Das kann man heute noch immer so machen, ist aber nicht mehr zwingend nötig. Zahlreiche Unternehmen und Vereine in Berlin bieten Parkour in der Gruppe an. Außerdem sind mit der Zeit mehrere Parkourplätze entstanden. Der im Anton-Saefko-Park ist einer davon. Auch daran war Ben Scheffler gemeinsam mit seinem Partner Martin Gessinger nicht ganz unbeteiligt. Bereits 2009 haben die beiden in Berlin ParkourONE ins Leben gerufen, sie waren bekannte Größen dieses Sports. Drei Jahre später kam das Land Berlin auf sie zu „und wollte was machen“, sagt Ben. Sie wollten die Sportart in die Stadt bringen. Nach anfänglichem Zögern sagten die beiden zu, Parkouranlagen zu entwerfen und zu bauen. So entstanden das Label „TraceSpace“ – und mehrere Plätze in Berlin und anderswo. Knapp 20 haben sie in Deutschland und der Schweiz bereits umgesetzt. Sogar in Boston bauen sie derzeit eine Anlage, eine weitere auf den Malediven befindet sich aktuell in Planung. In Berlin ist der Park an der Kniprodestraße der größte, er wurde Ende 2019 fertiggestellt. Eine weitere Anlage befindet sich in Ruhleben auf dem Gelände der Polizei-Akademie die nur Polizisten vorbehalten ist.
EINE AUSWAHL AN ANBIETERN

ParkourONE Berlin
Dietzgenstraße 25, 13156 Berlin
berlin.parkourone.com

Parkour Akademie
Danziger Straße 135, 10409 Berlin
parkourakademie.com

MyParkour
Müllerstr. 58 a, 13349 Berlin
myparkour.de

Pfeffersport e. V.
Paul-Heyse-Straße 29, 10407 Berlin
pfeffersport.de/sport/parkour

Fußgänger e. V.
Schillerpromenade 7, 12049 Berlin
fussgaenger.eu


MEHR INFOS

Parkour Berlin e. V.
Schöneberger Ufer 5 b, 10785 Berlin

Diese erst kürzlich an den Start gegangene Webseite gibt einen umfassenden Überblick über Anbieter und regelmäßige freie Treffen bzw. Events. Die Spotmap zeigt zudem alle wichtigen Parkourplätze in Berlin.

parkourberlin.de
Parkourläufer Lucas Wilson nutzt den urbanen Raum als Spielfeld, um Körper und Geist fit zu halten
Parkourläufer Lucas Wilson nutzt den urbanen Raum als Spielfeld, um Körper und Geist fit zu halten
Die Hauptzielgruppe besteht aber keineswegs aus Staatsdienern. Vorwiegend Kinder und Jugendliche springen auf den Sport an. Die Anbieter sind aber offen für jede Altersgruppe. Selbst mit 60 aufwärts kann man mitmachen. Natürlich begrenzt der Körper die Möglichkeiten ein Stück weit. Aber das spielt keine Rolle. Jeder nach seiner Façon. „Egal, wie alt man ist: Parkour ist sinnvoll“, sagt Ben Scheffler. „Parkour bedeutet Gesundheitsförderung und Potenzialentfaltung.“ Außerdem vermittele der Sport Werte wie Selbstwirksamkeit und stärke die Resilienz. „Parkour ist mehr eine Kultur als ein Sport“, sagt der Mittdreißiger. Parkour bedeute nicht, spektakuläre Salti zu machen. Es sei „kreatives Bewegen“.

„Eine Kunstform, bei der man sich selbst ausdrückt“, nennt es Jan Joppek, beim Verein Pfeffersport verantwortlich für Parkour und selbst auch Trainer. Offenbar trifft genau das den Nerv der Zeit. Sowohl Pfeffersport als auch andere Anbieter können sich vor Anfragen kaum retten. Immer mehr wollen Teil dieser Bewegung sein. Jan erzählt, dass der Verein im Prenzlauer Berg bereits seit 2003 Parkour anbietet. Doch seit einigen Jahren habe der Sport einen regelrechten Boom erfahren, „die Nachfrage übersteigt das Angebot“. Derzeit stünden rund 300 Interessierte auf der Warteliste. Zum Vergleich: Nur 200 Personen trainieren aktuell. Für mehr sind die Kapazitäten nicht da, vor allem Trainer fehlen.
              
Ben Scheffler war einer der Ersten, der Parkour in Berlin etablierte
Ben Scheffler war einer der Ersten, der Parkour in Berlin etablierte
Für alle, die vorerst nicht zum Zuge kommen, bleiben andere Möglichkeiten. Sie sind etwa auf der Webseite des erst vor wenigen Monaten gegründeten Vereins „Parkour Berlin“ aufgelistet. Dort findet sich auch der Hinweis auf eine Trainingsmöglichkeit speziell für „Senioren“, also Menschen ab 40 aufwärts, angeboten vom Fußgänger e.V. Ebenso erfährt der interessierte Sportler, dass jeder, der Lust hat, montagabends auf den Stufen vorm Velodrom vorbeischauen kann. Die Stelle an der Fritz-Riedel-Straße ist einer der wichtigsten Hotspots der Berliner Szene, die vielen Treppen und Mauern sind ein Eldorado für Sprungkünstler. Aber egal, wie hoch oder niedrig das eigene Level ist: Jeder kann vorbeikommen und mitmachen. Ein weiterer Pluspunkt: Es kostet keinen Cent. Und dennoch trifft man häufig auf versierte Traceure. Wenn man diese nett fragt, bekommt man gewiss einen ultimativen Tipp. Zum Beispiel den: „Du hast Dir gerade beim Versuch, auf die Mauer zu springen, das Knie gestoßen. Hör nun ja nicht auf, sondern versuche es noch einmal. Denn sonst gehst Du mit einer schlechten Erfahrung nach Hause. Schaffst Du es jedoch beim zweiten Anlauf, gehst Du zufrieden heim – und machst weiter.“

Dominik Arend sagt solch schöne, motivierende Sätze häufig. Nämlich immer dann, wenn er merkt, dass ein Teilnehmer nach dem ersten Misserfolg lieber gleich das Handtuch werfen möchte. Seine Erfahrung nach vielen Jahren: Die Leute machen sofort weiter, strengen sich noch ein bisschen mehr an und schaffen die Hürde. Sie werden angetrieben vom sanften Druck des Trainers. Und vielleicht träumen sie ja auch insgeheim davon, eines Tages zumindest in die Nähe seiner Künste zu kommen: Anlauf, hoch auf die Mauer, manchmal gar rückwärts, dann eine Drehung, ein Satz zur nächsten Mauer, und zur nächsten. Und zur nächsten.
Sabine Hölper
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